Wilhelm Moses WOLFF
geboren am 20. Januar 1898 in Aurich
| Straße: | Marktstraße 25 |
| Todesdatum: | 5. Mai 1940 |
| Todesort: | Berlin |
| Wilhelm Moses Wolff wird am 20. Januar 1898 in Aurich geboren. Er ist der Sohn des Kaufmanns Moses Levy Wolff (21.04.1850 – 16.04.1916) und seiner Frau Rosa, geb. Sternberg (5.03.1860 – 7.07.1917), die ebenfalls aus einer Auricher Kaufmannsfamilie stammt. Wilhelm wächst mit seinen neun Geschwistern (sein jüngster Bruder verstarb kurz nach der Geburt) in Aurich auf und tritt schließlich in die Fußstapfen seines Vaters: Wilhelm wird Kaufmann und lässt sich in Aurich nieder, wie auch mehrere seiner Brüder. Wilhelms Schwestern heiraten zum Teil wiederum in andere Auricher Kaufmannsfamilien ein, wie z.B. Wilhelms Schwester Erna (*1893), die Karl van Dyk ehelicht, der ein Kaufhaus in der Burgstraße (damals Wilhelmstraße) betreibt. Die Geschwister von Wilhelm Moses Wolff: Rosalie Moses Wolff verh. Wolff *2.05.1889 +12.09.1970 USA Moritz Moses Wolff *14.03.1890 +8.05.1942 Lodz (Stolperstein) Leopold Moses Wolff *1891 +1916 Feldlazarett Erna Moses Wolff verh. van Dyk *4.03.1893 +18.12.1944 KZ Sutthof (Stolperstein) Frieda Moses Wolff verh. Sternberg *24.07.1894 +1986 USA Iwan Moses Wolff *1896 +1937 Richard Wolff *1899 +1899 Hilde Wolff verh. Glück *17.07.1902 Flucht USA1923 heiratet auch Wilhelm – jedoch keine Frau aus einer Kaufmannsfamilie: Wilhelm hat sich in Erna Wallheimer verliebt. Sie ist die Tochter des Schlachters Benjamin Baruch Levy Wallheimer und dessen Frau Eva, geborene Herzberg. Auch Erna, die am 23. März 1896 zur Welt kommt, wächst in Aurich im Kreise einer großen und weit verzweigten Familie auf: Insgesamt hat Erna 17 Geschwister, von denen jedoch nur acht das Erwachsenenalter erreichen – die meisten ihrer Brüder und Schwestern versterben in den ersten drei Lebensjahren, oft sogar noch in den ersten Tagen nach der Geburt. Die überlebenden Brüder und Schwestern von Erna lassen sich ebenfalls zum Teil in Aurich nieder – ihr Bruder Wilhelm Benjamin beispielsweise lebt mit seiner Familie im „Breiten Weg 1“, beim heutigen Europahaus („Haus Wallheimer“), und arbeitet dort als Schlachter und Viehhändler.Bereits im Jahr nach der Hochzeit kommt das erste Kind von Erna und Wilhelm zur Welt: Ihr Sohn Meinhard Wilhelm wird am 14. April 1924 geboren, er verstirbt jedoch noch am Tag seiner Geburt. Angesichts dessen, dass Erna so viele Geschwister und nun auch schon das erste Kind verloren hat, muss es ihr bei ihrer nächsten Schwangerschaft im darauffolgenden Jahr recht mulmig gewesen sein. Doch dieses Mal geht alles gut: Am 29. Januar 1926 erblickt Töchterchen Rosa das Licht der Welt. Sie wird nach ihrer Großmutter, der Mutter ihres Vaters, benannt. Die kleine Familie wohnt in Aurich zunächst im Kirchdorferweg 20 und in der Norderstraße 18. Als die Familie weiteren Zuwachs erhält, steht ein Umzug in die Tannenbergstraße 7 an: Rosas kleiner Bruder Berndt Leopold wird am 24. Januar 1930 in Aurich geboren. Seine Eltern geben ihm den Zwischennamen Leopold in Gedenken an Wilhelms Bruder, der 1916 im Ersten Weltkrieg fiel. Drei Jahre später ist die Familie dann komplett: Am 22. August 1933 kommt das Nesthäkchen Erika in Aurich zu Welt. Zeitgleich zieht die Familie in eine Wohnung hier in der Marktstraße 25 um, wo nun auch die Stolpersteine verlegt werden. Auf den Geburtsurkunden der Kinder ist als Beruf des Vaters zunächst Kaufmann, bei Berndt und Erika dann „Reisender“ angegeben. Wilhelm war demnach wohl als fahrender Händler tätig und besaß keine Geschäftsniederlassung in der Stadt. Die Geschäfte sind vermutlich nicht herausragend gut gelaufen, denn nur bis 1926 waren Dienstmädchen im Haushalt beschäftigt, um Erna zu unterstützen. Der Aufstieg der Nationalsozialisten und die ersten Boykottaktionen ab Frühjahr 1933 werden ein übriges getan haben, um die finanzielle Situation der Familie zu erschweren. Rosa, Berndt und Erika wachsen in Aurich in der Zeit des Nationalsozialismus auf – die einzige, die sich in Ansätzen an eine Zeit „davor“ erinnern kann, ist Rosa: Sie ist bei der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler immerhin schon sieben Jahre alt. Wie die anderen jüdischen Kinder aus Aurich werden Rosa, Berndt und Erika unter Schikanen, Drohungen und Misshandlungen durch sogenannte „arische“ Erwachsene und auch Kinder gelitten haben: Otto Wolffs beispielsweise, der in der Lindenstraße wohnte, berichtet, dass er als Kind mehrfach beschimpft und angefeindet und von zwei Hitlerjungen sogar um ein Haar ertränkt wurde. Als besonders schlimm müssen die Kinder die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 erlebt haben: In der Pogromnacht werden reichsweit die Synagogen in Brand gesetzt und auch das Auricher Gotteshaus wurde zerstört. Alle jüdischen Familien werden geweckt und aus den Häusern getrieben, die Männer werden verhaftet und zur sogenannten „Bullenhalle“ gebracht. Auch Wilhelm Wolff ist darunter. Wilhelm, Erna und die Kinder wissen nicht, was als nächstes geschehen wird und was ihrem Ehemann und Vater bevorsteht: In der Bullenhalle werden die Männer von der SA bedroht und gedemütigt, unter anderem müssen sie unter allgemeinem Gejohle Gebete aufsagen, singen und Exerzierübungen machen, und das die ganz Nacht hindurch. Am nächsten Morgen wird Wilhelm Wolff gemeinsam mit den übrigen verhafteten zum Ellernfeld gebracht, wo gerade ein Sportplatz angelegt wird. Die Männer müssen hier den ganzen Tag lang unsinnige Arbeiten ausführen, wie Sand von der einen Seite des Platzes zur anderen zu bringen, wobei viele Todesangst haben, denn sie befürchten, im nächsten Moment vor einem der Sandhügel erschossen zu werden. Erst um 18 Uhr ist die Tortur vorbei und die Männer werden ins Auricher Gefängnis gebracht, wo sie die Nacht verbringen und nun zum ersten Mal etwas zu essen und zu trinken erhalten. Am nächsten Morgen wird Wilhelm mit den übrigen Auricher Juden zunächst nach Oldenburg und dann ins Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Wilhelm kann sich zuvor nicht einmal von seiner Familie verabschieden – er weiß bei der Abfahrt selbst auch weder, wohin er gebracht wird, noch, wie lange er fort bleiben würde. Für Erna und die Kinder, die gerade einmal 12, 8 und 6 Jahre alt sind, muss die Situation sehr schwierig gewesen sein: Erna ist nun allein mit den Kindern, das Schicksal ihres Mannes ist unklar und durch die Abwesenheit ihres Mannes ist auch das Familieneinkommen weggefallen, was die finanzielle Situation der Familie erschwert haben dürfte. Wilhelm ist zu diesem Zeitpunkt zwar bereits nicht mehr als Händler tätig, doch muss er eine Anstellung gehabt haben, denn er ist als „Arbeiter“ gemeldet. In Sachsenhausen leben und arbeiten die angeblich „in Schutzhaft“ genommenen Auricher Juden unter schlimmsten Bedingungen. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist sehr schlecht, die Bedingungen im KZ sind katastrophal: Es wird in den Baracken kaum oder gar nicht geheizt, die hygienischen Bedingungen sind schlecht und die Strafen für kleinste Vergehen übermäßig hart. Viele der Verhafteten kehren schwer krank oder als gebrochene Männer bei ihrer Entlassung nach Aurich zurück. Wilhelm wird deutlich früher als die meisten Auricher entlassen, die vielfach bis Mitte Januar in Sachsenhausen interniert waren: Er kann bereits am 15. Dezember 1938 zu seiner Familie heimkehren. Der Grund für die frühe Entlassung ist unklar. Mehrere Auricher wurden noch im Dezember entlassen, weil sie sehr krank waren und zudem im Ersten Weltkrieg mitgekämpft hatten. Da Wilhelm bei Kriegsausbruch bereits 16 Jahre alt war, ist es denkbar, dass auch er zu den Kriegsveteranen gehörte, die früher nach Hause zurückkehren durften. Rund ein halbes Jahr später muss die Familie erneut umziehen, sehr wahrscheinlich aus wirtschaftlichen Gründen: Ab dem 16. Juni 1939 wohnen Wilhelm, Erna, Rosa, Berndt und Erika in der Wallstraße 24, und von dort melden sie sich dann auch aus Aurich ab, denn bis zum 1. April 1940 sollten alle Juden Aurich verlassen haben. Der jüdischen Gemeinde wurde dies jedoch erst im Februar mitgeteilt, sodass in aller Hast der Umzug organisiert werden musste. Das Problem bestand dabei nicht nur darin, Häuser und ggf. auch Mobiliar schnell zu verkaufen, sondern insbesondere darin, eine neue Wohnung zu finden, denn es gab Gesetze, die das Vermieten von Wohnungen an Juden stark einschränkten. Die jüdische Gemeinde hatte zusammen mit den jüdischen Gemeinden in Köln und Hildesheim daher eine Notlösung organisiert: Eltern mit kleinen Kindern konnten diese zunächst nach Köln oder Hildesheim in eiligst eingerichtete Kinderheime schicken, um leichter bei Verwandten „unterkriechen“ und von dort aus eine Wohnung für die ganze Familie finden zu können. Wilhelm und Erna nutzen ebenfalls diese Möglichkeit: Berndt und Erika, zehn und sechseinhalb Jahre alt, verabschieden sich am 19. Februar 1940 von ihren Eltern und werden gemeinsam mit einer Reihe weiterer Kinder aus Aurich, unter anderem ihrem Cousin Horst und ihrer Cousine Vera Wallheimer, nach Köln gebracht. Rosa, die bereits 14 ist, kommt im jüdischen Altenheim in der Klaas-Tholen-Straße in Emden unter. Hier arbeitet sie möglicherweise als Dienstmädchen oder Haushaltshilfe. Wilhelm und Erna melden sich schließlich am 1. April 1940 aus Aurich ab. Als neue Adresse geben sie Berlin, Rosenstraße 2-4, an – eine Adresse der jüdischen Gemeinde. Unklar ist, wie lange die Wolffs in Berlin bleiben und wann die Kinder zu den Eltern zurückgekehrt sind. Erna zieht zunächst nach Recklinghausen, wohin auch die jüngere Tochter Erika zieht. Möglicherweise lebt auch Berndt dort bereits wieder bei seiner Mutter. Später sind Erna und alle drei Kinder in Oberhausen, in der Ellenbogenstraße 10, gemeldet. Von Oberhausen aus werden Erna, Rosa, Berndt und Erika auch schließlich deportiert: Vermutlich mussten sie sich bereits am 21. April 1942 am Sammelpunkt in Oberhausen einfinden, von wo aus sie nach Düsseldorf gebracht wurden. Die Deportation der Familie sollte am nächsten Tag erfolgen. Zunächst wurden alle Juden, die mit dem Transport DA 52 deportiert werden sollten, genauestens kontrolliert und durchsucht. Offiziell wurden alle „umgesiedelt“ und an ihrem neuen Wohnort im Osten warteten angeblich Arbeitsplätze auf alle. Auch Erna, Rosa, Berndt und Erika werden an Kleidung und Familienandenken soviel mitgenommen haben, so viel sie nur tragen konnten. Am 22. April 1942 verlassen schließlich 20 Personen- und Gepäckwagen den Bahnhof Düsseldorf-Derendorf. Gemeinsam mit Erna, Rosa, Erika und Berndt werden 938 Menschen ins Ghetto Izbica in Polen deportiert. Die Ankunft in Izbica muss für alle ein Schock gewesen sein: Nicht nur, dass allen Deportierten bereits in Lublin das Gepäck abgenommen wurde und die Menschen nun im wahrsten Sinne des Wortes „mittellos“ dastehen – Izbica ist ein ärmliches Dorf, überwiegend aus Holzhäusern errichtet und weitgehend ohne gepflasterte Straßen. Ursprünglich hatte der Ort gerade einmal rund 3000 Einwohner, nun wurde er mit immer neuen sogenannten „Umsiedlern“ vollgestopft. Arbeit gab es zudem fast gar keine. Izbica war ein Ghetto, genauer gesagt ein „Transitghetto“: Hier lebten die Deportierten einige Wochen bis Monate, bevor sie in die Vernichtungslager weiter verbracht wurden. Die Bedingungen in dem völlig überbevölkerten Ort sind katastrophal: Teilweise wohnen bis zu 10 Familien in einem Haus, es gibt kaum Toiletten und kaum etwas zu essen: Wer beispielsweise nicht arbeitet – und das sind fast alle Einwohner – erhält 50 Gramm Brot am Tag und etwas Suppe. Täglich verhungern 20 bis 30 Menschen, zudem grassieren mehrfach Seuchen wie Typhus. Insgesamt werden rund 16 000 Menschen in das das Ghetto Izbica deportiert, von denen rund 5000 im Ghetto selbst durch Krankheit und Hunger den Tod finden oder dort erschossen werden. Die übrigen werden in die Vernichtungslager deportiert, vor allem Belzec, Sobibor und Treblinka. Das Schicksal von Erna Wolff und ihren Kindern Rosa, Berndt und Erika ist bis heute unklar. Ihre Spur verliert sich mit Besteigen des Zuges in Düsseldorf. Am 28. April 1943 wurde das Ghetto Izbica aufgelöst, alle Juden, die dort lebten, waren zu diesem Zeitpunkt in Vernichtungslager deportiert oder erschossen worden. Erna Wolff war bei ihrer Deportation 46 Jahre alt, Rosa 16, Berndt 12 und Erika gerade einmal 9. |
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| Recherche: Dr. Sandra Weferling Eingabe: Hans Jürgen Westermayer (Stand 7.03.2020) |
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| Opfergruppe: | Juden |
| Quellen: | Judenregister Aurich, Rep. 248, Nr. 943, S. 188, Nr. 255 Meldekarte, NLA Aurich Zwangsversteigerung: Rep. 121, Nr. 2088 und Rep. 91, Nr. 262 Deportationsliste: http://statistik-des-holocaust.de/OT420422-50.jpgStammbaum: https://www.geni.com/people/Wilhelm-Wolff/600000003373126114 http://www.online-ofb.de/famreport.php?ofb=juden_nw&ID=I5932&nachname=WOLFF&modus=&lang=en0 |
| Literatur: | http://www.bildungswerk-ks.de/izbica/deportationen-von-und-nach-izbica-1 |
| Patenschaft: | Kollekte 27.01.2015 |
| Verlegetermin: | 5. Dezember 2015 |
