Calmer Wolff (Karl) WALLHEIMER
geboren am 17. Februar 1868 in Kirchdorf
| Straße: | Kirchdorf 11 (heute Kreuzstr. 6d) |
| Todesdatum: | 21. Oktober 1942 |
| Todesort: | Theresienstadt |
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Calmer Wallheimer wird am 17.02.1868 in Kirchdorf geboren. Er hat zwei Schwestern Minkel und Goldine und zwei Brüder, Abraham Wolff und Samuel. Die Eltern heißen Wolff Wallheimer und Engel Aile geb. Wolff.
Die Schwestern wohnen zeitweilig auch mit Anhang in diesem Haus. Calmer Wolff (in bürgerlichem Umgang auf der Straße „Karl“ genannt) heiratet in erster Ehe Frieda Samson am 22.06.1900. Diese stirbt aber bereits am 24.09. desselben Jahres. Er heiratet noch mal am 24.05.1904 Julie Salinger aus Marienburg, Westpreußen. Die Ehe bleibt kinderlos. Er ist Viehhändler. Das Haus in Kirchdorf liegt stadtnah und ist umgeben mit großem Grünlandbestand von gutem Bodenwert. Der Gesamtwert aller Immobilien beträgt ca. 48.000 RM, also war die Familie sehr wohlhabend. In den späten Einträgen in Akten steht unter Beruf Landgebräucher oder Rentner. Wie allen Auricher Juden bleibt auch dieser Familie der Verlust der wirtschaftlichen Existenz nicht erspart. Calmer Wolff muss verkaufen, bzw. er fängt 1938 mit Verkaufsverhandlungen über sein Wohnhaus und Ländereien in Kirchdorf-Kreuzstraße (Nr. 11) und einer Hausbesitzung Nr. 166 südlich des Kanals an. Sie führen jedoch nicht zum Abschluss, sondern nur zur Verpachtung des Landes an Harm Frerich Harms – mehr dazu später im Text. Die nun nachfolgenden Recherche über den im Staatsauftrag geraubten Besitz des Calmer Wolff Wallheimer zeigt in beispielhafter Weise, wie diese Verbrechenszeit nicht nur die Opfer vernichtete, sondern auch die Moral einer ganzen Gemeinde in dieser Generation schwer beschädigte. Das heißt, Erwerber jüdischen Eigentums in Aurich wussten in ihrer Zeit, dass diese sehr günstigen Opportunitäten Ergebnis staatlich organisierten Raubes waren. Man muss diesen Erwerbern in ihrem Handeln die allgemeine Not und schlechte wirtschaftliche Lage als Folge des Weltkriegs und der großen Wirtschaftsdepression relativ zugute halten. Diese Eigen-Beschädigungen verhinderten in der Nachkriegszeit lange Jahre jegliche lokale Aufarbeitung und Schulderkennung. Denn die Käufer der Arisierungszeit wünschten ja nichts mehr, als dass diese so Beraubten nie wiederkommen würden. Die heutige Darstellung des damaligen friedlichen Beieinanderseins der Religionsgemeinden muss vor diesem Hintergrund als Konstrukt einer Wohlfühlgeschichte gesehen werden. Nach zahlreichen Gesetzen und Verordnungen, welche auf ein faktisches Gewerbeverbot jüdischer Handlungstätigkeit zielten, und die Beschneidung der Vermögens- und Vertragsrechte über jüdischen Grundbesitz, muss Calmer Wolff 1939 endgültig Verkaufsverhandlungen beginnen. Es meldet sich ein Harm Frerich Harms aus Kirchdorf südlich des Kanals. Dessen Vater wiederum war durch gemeinsame Gremienarbeit im Landwirtschaftsausschuss in Aurich mit Calmer Wolff bekannt. Beim Verkauf von Grundbesitz und Geschäften müssen per Reichserlass Stellen der Parteiorganisation, wie der Gauwirtschaftsberater, der Reichsnährstand, der Gauleiter und die örtliche Partei zwingend beteiligt werden. Letzte begnügt sich meistens mit einem eher akklamatorischen Nachtreten in Stil und Wortwahl der Seuchen- und Ungezieferbekämpfung: Das Haus ist vollständig judenfrei und alle Gegenstände entjudet zu übergeben – wie bei der Arisierung des Hauses und des Warenbestandes des Sally Goldschmidt aus der Osterstraße, geschehen. Und zu Beginn muss der Käufer diesen gegenüber schriftliche Ergebenheitsadressen folgender Art abgeben oder entsprechende Befürwortungen erreichen: „Ich bin Parteigenosse und seit 1933 in der SS“ NSDAP Kreisleitung: […] ist politisch zuverlässig gehört der Partei unter der Nr. an und tut aktiv Dienst als SS-Mann; meine Frau und sowohl als ich gehören der Partei an … usw.“ So muss es auch in diesem Fall gewesen sein, denn der Rechtsvertreter der Kläger Dr. Anklam bezeichnete in einer polemischen Bemerkung den Käufer Harms als SA-Mann, der auf diese Weise an das Geschäft kam. Die Kaufpreisfestsetzung unterliegt ebenfalls den politischen generalideologischen Vorgaben dieser Zeit. Also recht günstig, die Not zwingt die Verkäufer ohnehin dazu. Verdiente Parteigenossen und Frontsoldaten sollen erwerben können. Aber nicht zu günstig, denn aufgelaufene Hypotheken örtlicher Sparkassen waren zu tilgen, und für den später vorgesehenen fiskalischen Gesamtzugriff auf das Geldvermögen sollte noch genügend Masse übrig sein. Calmer Wolff fordert nun 17 000 RM für das Haus Nr. 11. Der Gesamtwert aller Besitzungen war 48.850 RM, wie später festgestellt wurde. Käufer Harms will jedoch nur 14.000 RM geben und weiß sich aus o.g. Gründen in guter Position. Nach Angaben eines Protokolls vom 2.12.1946, erstellt bei Dr. Anklam, wollte Harms freiwillig 17.000 RM bezahlen. Calmer Wolff bemüht sich um Hilfe beim Kreiswiesenbaumeister Lübbe, wohnhaft in der Nachbarschaft, der Calmer Wolff sogar den höheren Wert von 25.000 RM bestätigt. Calmer Wolff unterzeichnet am 29.09.1939 deshalb unter Protest einen Kaufvertrag, der im Folgenden aber nicht mehr erfüllt wurde. Harms ist zum Zeitpunkt des Kaufvertrags nicht im Besitz des Bauernfähigkeitsscheines. Der Reichsnährstand fordert zum Betrieb eines Bauernhofs und eines Erbhofs nach §5 Reichserbhofgesetz – das sollte hier Gegenstand der Arisierung sein – einen erweiterten Ariernachweis – bis zu den Urgroßeltern, und zweitens die Anerbschaft, also das alleinige ungeteilte Erbrecht an einem Hof, eine standesgemäße Heirat und Kinderaufzucht im Geist der neuen Zeit soll ohnehin dabei sein. Die zweite Bedingung kann der Käufer nicht erfüllen, denn er ist der zweitjüngste und nicht zur Hofnachfolge bestimmt. Ergo kommt es durch den Einspruch des Reichsnährstandes nicht zur Vertragserfüllung. Harms zahlt als Bewohner und Landwirt eine jährliche Pacht 350 RM an Calmer Wolff. Über die hier wirkende Blut- und Bodenideologie des Reichsministers für Ernährung Darré heißt es dazu in Auszügen und Paraphrasen: Die Nordische Rasse habe sich ursprünglich aber nicht auf die Auslese (scharfe Ausmerze) bei den Neugeborenen beschränkt. Vielmehr sei das Ausjäten der Minderwertigen prinzipiell ein Gesetz gewesen, um die Kultur der Nordischen Rasse auf ihrer Höhe zu erhalten. In diesem Sinn pochte er auf die gesetzliche Bedeutung des Anerbenrechts, weil er darin eine züchterische Bedeutung erkannte. Das echte Ergebnis einer bewußten Hochzucht, die dem eisernen Gesetz der Leistungszucht folgte. Für die Aufnordung empfahl Darré tierzüchterische Tatsachen als Erkenntnisquelle um die Nordische Rasse durch Zucht aufzuarten. (Gerhard Siegl –Bergbauern im Nationalsozialismus, Innsbruck 2013 – in Auszügen). Am 17.06.1943 konfisziert das Reich wg. Reichsfeindlichkeit (!) des Besitzes und Handlungen des Besitzers die Güter des längst umgekommenen Calmer Wolff. Die Finanzdirektion Hannover verkauft und überlässt an Harms am 29.07.1943 zum Vertragskaufpreis abzüglich noch zweier anstehender Hypotheken, die Harms, bzw. dessen Eltern, tilgen. Das Haus im Ulenmoor, Kirchdorf Nr. 166 wird an den Kleinbahnbetriebsmeister Reinhard Kruse verkauft. In den Rückgabeverhandlungen 1950 stehen als Kläger und Erben Lilly Knurr geb. Wallheimer, als weitere Erben ihre in Amerika lebenden Geschwister sowie Herman Grünberg vertreten durch Dr. Anklam und auf der Gegenseite Harms vertreten durch die RAin Luise Schapp. Die Verhandlungen beginnen sogleich mit offensiven Schriftsätzen auf beiden Seiten, besonders mit polemischen des Anklam. Schapp führt in bekannter legalistischer Rechtfertigungsmanier aus, der Verkauf sei aus einem rechtmäßigen und deshalb auch heute gültigen Vertrag entstanden. Aber: Die absolute Grundbedingungen, nämlich Vertragsfreiheit und Privatautonomie waren durch diskriminierende Gesetzgebung nicht mehr gegeben. Es gab kein Recht mehr, nirgends (der Verf.). Der Verkauf war ungültig ex tunc. Harms/ Schapp bietet am 14.03.1951 eine Nachzahlung von 3 bis 4000 Mark erfolglos an plus Verhandlung über Nutzungsentschädigung. Im Vergleich am 4.07.1951 endet der erste Teil dieses Prozesses. Harms muss sämtlichen Besitz an die Kläger rückübereignen, bleibt jedoch wohnhaft und zahlt eine Jahrespacht von 800 DM an die Erben. Leistungen der Hypothekentilgung des Harms gelten als angeeignete Nutzungen in der Besitzzeit und somit als abgegolten. Harms erhält Vorkaufsrecht über den Rückkauf. Die Erben aus New York entziehen Dr. Anklam das Mandat, welches er durch die Vergleichsannahme überzogen hätte. In den Folgejahren wird das Land rings um die Hofstelle zum Bauerwartungsland beplant mit der Folge stark gestiegener Erwerbspreise – die heutige Siedlung Kiebitzweg. Die Kläger fordern eine Entschädigung statt Restitution nach diesem neuen Wertansatz. Harms kann nur noch das Wohn- und Wirtschaftshaus zum zweiten Mal erwerben. Ob die Finanzdirektion den Verkaufspreis von 1943 an Harms zurückgezahlt hat, ist nicht bekannt. Von dieser Amputation der betriebsnotwendigen hofnahen Flächen erholt sich der Hof nicht mehr. 1963 stirbt Harms vor der Zeit beim Ausheben eines Brunnens auf dem Hofgelände. Die fast mittellose Witwe mit z. T. noch nicht volljährigen Kindern muss verkaufen. 1976 wird es abgerissen. Der Makler Gerstmeier kauft das Grundstück und errichtet die heute sichtbare Wohnbebauung. Die Nachkommen des Harms bezeichnen dieses Haus und seine Geschichte als einzigen Fluch und Elend. Die Geschichte des Danach lehrt, dass in Unrechtszeiten wie diesen, alle zu Verlierern werden können. Und es erklärt ein wenig die heutige Haltung der alteingesessenen Auricher Bevölkerung über diese Zeit. |
| Recherche: Jörg Peter Eingabe: Hans Jürgen Westermayer (Stand 3.03.2019) |
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| Opfergruppe: | Juden |
| Quellen: | • Quellen: ehem. Melderegister, Kennkarten Aurich Rep. Nds. Staatsarchiv,
• Rep 20 Nr. 743; Rep 107 Nr 2801 • Interviews mit Nachkommen des Harms |
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| Patenschaft: | Jelda Poppen und Wilfried Schnabel |
| Verlegetermin: | 21. Oktober 2016 |
Text für die Stolpersteine BREMEN
Calmer (Karl) Wolff Wallheimer
geb. 17.2.1868 in Aurich
Calmer Wallheimer wurde als Sohn des Schlachters Wolff Benjamin Abraham Wallheimer (geb. 4.6.1821 in Aurich) und Engeline Egle Samuel (geb. 2.11.1831) in Aurich geboren. Die Familie lebte in Aurich im Haus breiter Weg Nr. 1. Seine Mutter gebar 21 Kinder, von denen jedoch nur 10 überlebten. Die Familie Wallheimer gehörte zu den gut situierten jüdischen Familien, „Bewohner dieses Stadtteils berichteten …, dass sie als Kinder und Jugendliche oft bei Wallheimers gewesen seien, um Milch für die Familie zu holen. Der Alte, wohl Patriarch Benjamin, habe peinlich darauf geachtet, dass die gewünschte Menge auch exakt in die Gefäße gefüllt wurde. Am Scheunenausgang habe Frau Wallheimer gestanden, das Geld in Empfang genommen und, sicher, dass ihr Mann dies nicht gewahrte, fast immer einen Nachguss als Zugabe in den „Melkaker“ getan. Dies jeweils mit einem mütterlichen Lächeln.“
In erster Ehe war er mit Frieda Samson verheiratet, die 1900 starb. Später heiratete er Julie Salinger (geb. 27.9.1868 in Marienburg). Das Ehepaar war kinderlos. Sie lebten jahrzehntelang zusammen mit Calmers Schwester Minkel (Minna) Wallheimer in Aurich-Kirchdorf in der Kreuzstraße 166. Von Beruf war Calmer Wallheimer Viehhändler und Landwirt.
Als die Juden Ostfriesland verlassen mussten, zogen Calmer und Julie Wallheimer und Minna Ende 1939 zunächst in die Biebricher Straße 7 zu Calmers Schwester Goldine Grünberg. Das Ehepaar zog dann in das “Judenhaus” in die Große Johannisstraße 85. Dieses Haus gehörte von 1915 bis 1942 Goldine Grünberg. Das Haus wurde nach der Deportation von Goldine und Minna nach Theresienstadt im Jahr 1942 am 29.10.1942 “arisiert”.
Auch Calmer und Julie Wallheimer wurden am 23.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, wo Calmer Wallheimer bereits am 21.10.1942 starb. Julie Wallheimer überlebte ihren Ehemann nur um zwei Monate und verstarb am 10.12.1942.
Nur seine Schwester Minna Wallheimer, die in der Biebricher Str. gelebt hatte und 1941 nach Theresienstadt verschleppt worden war, überlebte die Jahre im Ghetto Theresienstadt. Nach der Befreiung kehrte sie nach Bremen zurück und wohnte im Jüdischen Altersheim in der Gröpelinger Heerstraße 370. Sie starb am 27.2.1948.
Verfasserin:
Edith Laudowicz (2012)


