Rosel HESS geb. Rothschild
geboren am 10. November 1889 in Waltersbrück bei Fritzlar
| Straße: | Marktplatz 15 |
| Todesdatum: | 27.03.1939 Flucht nach Argentinien |
| Todesort: | |
| Rosel Hess geb. Rothschild wird am 10. November in Waltersbrück bei Wetzlar (Hessen) geboren. Rosel war die Tochter von Seligmann Rothschild (1848-1925) und Hannchen Rothschild geb. Katzenstein aus Frankenau (1858-1932). Sie war das siebente von neun Kindern. Ihre Geschwister: Antonia (Toni) verh. Pfifferling *1881 Markus Rothschild *1882 +1970 (Long Island) Auguste verh. Nussbaum *1884 +1974 (New York) Jettchen *1886 +1887 Betty *1887 +1888 Victor Friedrich *1888 Frieda verh. Silberberg *1892 Deportation 18.06.1943 (Auschwitz) Emma verh. Edelmuth *1898Rosel Rothschild heiratete 1929 Joseph Hess (*4.03.1871) aus Papenburg. Wie die beiden sich kennengelernt haben, haben wir nicht herausfinden können. Joseph Hess kam eigentlich aus Papenburg. Er wurde 1871 dort geboren. Seine Eltern waren Moses Jacob Hess (*29.09.1829 in Nieuweschans +18.04.1904 Bunde) und Bertha geb. Rosenbaum (*1837 in Papenburg +6.07.1931 in Bunde). Joseph hatte sieben Geschwister: sechs Brüder und eine Schwester. Jacob Moses Hess *7.07.1861 Papenburg + 1942 Treblinka Zwei seiner Geschwister, seine kleine Schwester Friederike und sein jüngerer Bruder David, zogen auch nach Aurich. Für Friederike und ihren Mann Moritz wurden vor diesem Haus schon Stolpersteine verlegt, denn sie lebten zuletzt hier in Josephs Haus. David und seine Familie wohnten zuletzt in der Julianenburger Straße 3. Auch für sie wurden bereits Stolpersteine verlegt. Das Haus, in dem früher die Familie Hess gelebt hat, steht heute nicht mehr – es wurde abgerissen. Früher war hier am Marktplatz 15 das Warenhaus J.M. Valk und Söhne. Das Haus und das Geschäft gehörten Joseph Hess. Das Geschäft war eine Filiale eines großen und damals sehr bekannten Emder Kaufhauses. Filialen gab es auch in Norden (Neuerweg) und Jever (Neuestraße). Ein Jahr nach der Hochzeit bekamen Rosel und Joseph ein Baby: Ihre Tochter Else Inge wurde am 2. März 1930 geboren. Als Else drei Jahre alt war, kam Adolf Hitler in Deutschland an die Macht. Ab da wurde das Leben für Joseph, Rosel und Else in Aurich schwieriger. Es kauften z.B. immer weniger Leute im Kaufhaus von Joseph ein. Joseph überlegte schließlich, aus Aurich wegzuziehen, besonders, nachdem die Synagoge niedergebrannt worden war: Die jüdischen Männer waren in dieser Nacht alle verhaftet worden, die meisten wurden zwei Tage später in ein Konzentrationslager gebracht. Auch Joseph wurde verhaftet, weil er aber schon 67 Jahre alt war, durfte er am nächsten Morgen gehen. In und nach der Pogromnacht wurden am 10.11. 1938 von der SA-Standarte 63 auch das Warenlager der Firma von Joseph Hess im Wert von 35 – 40.000 Reichsmark ausgeraubt. Sicher hat Joseph spätestens nach den Ereignissen in der Reichspogromnacht beschlossen, Aurich zu verlassen. Sein Plan war, in die Niederlande auszuwandern und dort ein neues Geschäft zu eröffnen. Zum Glück hat seine Frau Rosel ihn davon abgehalten. Sie fürchtete zu Recht, dass die Familie auch in Holland nicht in Sicherheit wäre. Ein halbes Jahr später, am 27. März 1939, wanderten Joseph, Rosel und Else mit der „Monte Rosa“ nach Südamerika aus. Eigentlich wollten sie nicht weg, schon gar nicht in ein ganz fremdes, tausende von Kilometern entferntes Land. Else war gerade einmal neun Jahre alt. Keiner aus der Familie sprach Spanisch. Sie wussten nicht, was sie erwartet. Es muss für sie sehr schwierig und traurig gewesen sein. Viel Geld durften sie auch nicht mitnehmen: Gerade einmal 30 Reichsmark. Und das, obwohl Joseph das große Haus am Marktplatz für über 10.000 Reichsmark verkauft hatte (und eigentlich war das Haus sogar noch viel mehr Geld wert gewesen!). Aber die Nationalsozialisten erlaubten nicht, dass sie ihr Geld mitnahmen. Der Start in Argentinien war schwer – zugleich war die Familie aber auch froh, dort nun in Sicherheit zu sein. Drei Schwestern von Rosel waren auch nach Argentinien ausgewandert, sodass sie sich gegenseitig etwas unterstützen konnten. Auch von der jüdischen Gemeinde gab es Hilfe. Else wuchs nun in Argentinien auf. Sie heiratete Bert Lichtenstein und bekam einen Sohn, Roberto, der bei der Verlegung der Stolpersteine für seine Familie anwesend war und der seine Familie und ihr Schicksal näher vorstellte. Nach Kriegsende versucht die Familie Hess, einen Ausgleich für die 1938 geraubten Waren und das unter Wert an die Stadt Aurich verkaufte Haus zu erlangen. Die Ermittlungen wegen der verschwundenen Waren werden eingestellt, eine Rückerstattung geraubter Waren wird abgewiesen, da nicht nachweisbar. Die Stadt wehrt sich nachdrücklich gegen Rückerstattungsforderungen. Bei der Solpersteinverlegung am 19.09.2018 hielt der Enkelsohn von Rosel Hess, Roberto Lichtenstein, diese Ansprache: Osten und Westen Liebe Anwesende, vor ca 7 Jahren wurden die Stolpersteine meiner Grosstante Friederike und Grossonkel Moritz Lachmann verlegt. Damals schrieb ich über den Tod, der sie im Osten erwartete. Diesmal möchte ich über den Weg zum Westen berichten, der für meine Grosseltern Joseph und Rosel und meiner Mutter Else Inge das Leben bedeutete. Aber bevor sie auswanderten, mussten sie noch Schlimmes über sich ergehen lassen. Mein Mutter Else Inge erzählte mir von der Kristallnacht im November 1938, wo die Juden von Aurich mit zusehen mussten, wie die Nazis die Synagoge niederbrannten. Meine Mutter marschierte gerade vorbei als das Dach der Synagoge einbrach. Sie hat dann jahrelang keine Streichhölzer mehr angefasst, so beindruckt war sie von diesem Ereignis. Sie erzählte mir auch wie sehr sie gelitten hat, bis ihr Vater, der zusammen mit allen Männern verhaftet worden war, am nächsten Tag wegen seines fortgeschrittenen Alters freigelassen wurde. Die Reise gen Westen war nicht so ganz ohne. Mein Grossvater Josef wollte eigentlich nur nach Holland auswandern und dort ein Kohlegeschäft einrichten. Meine Grossmutter Rosel hat aber gesagt „aus diesem Kontinent müssen wir weg“, und so hat der gesunde Menschenverstand über den Tod triumphiert. Als es dann soweit war, sind sie mit dem Schiff „Monterosa“ von Hamburg aus nach Südamerika gereist. Kurz nach der Abfahrt war die ganze Familie auf Deck und mein Grossvater war auf einmal verschwunden. Als sie in fanden, hat er geweint, in tiefer Trauer seine Heimat verlassen zu müssen. In Buenos Aires angekommen, zogen sie in eine Wohnung in einem abgelegenen und nicht gerade schönen Viertel der Grosstadt Buenos Aires. Sie hatten Untermieter und mein Grossvater hatte im Stadtzentrum einen Job. Meine Mutter erzählte, dass er für die Reise 10 Cents bekam, die Strassenbahn jedoch nur 8 Cents kostete und er sich für die zwei restlichen Cents einen Expresso gönnte. Es müssen schwere Jahre gewesen sein, nicht nur eine fremde Sprache, überhaput ist Argentinien so anders als Deutschland und kurz nach Kriegsende fing im Land gar auch noch der Populismus an. Aber ein Teil der Familie meiner Grossmutter war auch im Land, das hat es wahrscheinlich leichter gemacht. Trotz alle dem war meine Mutter dem Land Argentinien immer dankbar, dass es die Familie grosszügig aufgenommen hatte. Wie zuvor berichtet, durften meine Grosseltern nur 30 Reichmark Bargeld mitnehmen. Sie durften jedoch einen Container packen, wo Geschirr, Bestecke, Kleidung verpackt wurde. Ein Teil davon wurde gestohlen oder zerbrach, aber nicht alles. So konnte meine Mutter zu den jüdischen Festtagen ihre Kochkünste auf schönstem Geschirr aufführen. Meine Mutter ging dann in die Schule und fing danach an zu arbeiten. Ende der Fünfziger Jahre bekamen sie auch eine Wiedergutmachung, mit der sie ein Appartment in einem schöneren Viertel kauften, das immer noch im Besitz der Familie ist. Günther und Elfried haben die Wohnung kennengelernt. Kurz danach machte meine Mutter eine Reise nach USA, wo sie ihre Cousins, die Söhne von Friederike und Moritz Lachmann, besuchte. Ein unvorstellbares Abenteur mit dem Flugzeug das unzählige Male stoppte und Sauerstoffmaske zur Standardausrüstung der Reisenden gehörten und auch benutzt wurden. Der Kontakt mit ihnen wurde aufrecht erhalten und wir besuchten sie ein paar Mal, auch einmal mit meiner Frau Andrea. Inzwischen hatte mein Mutter auch meinen Vater kennengelernt und dann geheiratet. Ich kam 1962 zur Welt und kurz danach verstarb mein Grossvater Joseph mit 92 Jahren. Ich weiss, dass er sich sehr über mich gefreut hat, aber ich kann mich leider nicht an ihn erinnern. Zuhause wurde Deutsch gesprochen, meine Grossmutter hat nie Spanisch gelernt, hat sich aber trotzdem durchgeschlagen. Ich selbst habe zuerst Deutsch gesprochen und dann Spanisch im Kindergarten gelernt. Danach ging ich 15 Jahre in eine deutsche Schule, die zu der Zeit mehrheitlich von jüdischen Schülern besucht wurde. Als ich 13 Jahre alt war, erlebte meine Grossmutter noch meine Bar Mitzwa, verstarb dann 85-jährig im Deutschen Hospital. Ich studierte dann in Argentinien, heiratete dann meine Frau Andrea und wir hatten zwei Kinder, von denen unsere Tochter Tamara heute dabei ist. Unser Sohn Ariel ist zur Zeit in Argentinien. Sie gingen beide in eine jüdische Schule und sprechen leider kein Deutsch, was übrigens ausschliesslich meine Schuld ist. Meine Mutter war trotz ihres starken Charakters eine liebevolle Person, sehr grosszügig und humorvoll. Sie ist vor drei Jahren in einem jüdischem Altersheim verstorben. Noch bis zuletzt haben ihre Augen geleuchtet, als sie mich kommen sah. Und so habe ich in Kurzfassung von der Auswanderung meiner Familie gen Westen berichtet. Ich möchte mich bedanken, dass sie alle hier dieser Stolpersteinverlegung beiwohnen und natürlich Herrn Günther Demnig, der das ganze ins Rollen brachte. Besonders zu diesen Zeiten, wo in Deutschland der Antisemitismus wieder präsent ist, ist es so besonders wichtig, dass das schreckliche Kapitel des Nationalsozialismus nicht vergessen wird. Vielen Dank |
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| Recherche: Dr. Sandra Weferling Eingabe: Hans Jürgen Westermayer (Stand 20.03.2020) |
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| Opfergruppe: | Juden |
| Quellen: | Rep. 251, Nr. 75 / Rep. 251, Nr. 75/ Rep. 251, Nr. 1743/ Rep. 107, acc. 2009/075, Nr. 2624 |
| Literatur: | https://www.geni.com/people/Therese-Hess/4996487824930063599 |
| Patenschaft: | Sparkasse Aurich-Norden |
| Verlegetermin: | 19. September 2018 |
