Siegfried Engländer

Veröffentlicht: 6. Dezember 2010 von westermayer in Verlegung

Siegfried ENGLÄNDER
geboren am 23. Juni 1907 in Aurich

Straße: Norderstraße 22
Todesdatum: Flucht in die Dominkanische Republik
Todesort: Überlebt den Völkermord
Siegfried Engländer wird am 23.06.1907 in Aurich geboren. Seine Eltern sind Moritz Engländer (*16.10.1877 in Aurich) und Henni Engländer geb. Herzberg (*23.06.1878 in Sachsenhagen +15.01.1945 in Santo Domingo). Siegfried hat eine Schwester, Hilda Engländer (*29.03.1906 in Aurich). Diese heiratet Julius Wolff (*23.03.1900 in Aurich) und kann mit ihm im Mai 1939 nach Australien fliehen. Wir wissen, dass Siegfried 1945 verheiratet war und zwei Kinder hatte.
Eine Familie Engländer gab es schon lange in Aurich. Ich konnte sie bis zum Urgroßvater von Moritz verfolgen. Der hieß Abraham Hartogs  Calmer Engländer und verstarb im Jahr  1803.
Moritz hatte acht Geschwister.  Seine Eltern waren Abraham Calmer Engländer (* 31.08.1838 in Aurich, + 02.02.1911 in Aurich) und Hannchen Isaak Cohen (* 1837, + 09.02.1893 in Aurich).
Die Familie Moritz Engländer wohnt in der Norderstraße 22. Moritz Engländer und sein Sohn Siegfried arbeiteten wie bereits seine Vorfahren als Schlachter und Viehhändler.Ich möchte jetzt die Geschichte der Familie Moritz Engländer so erzählen, wie sie mir im Verlauf einer durchaus spannenden Recherche bekannt wurde.
Die Suche nach Informationen beginnt immer mit der Meldekarte im Niedersächsischen Landesarchiv Aurich. Dort erfahre ich, dass die Familie Engländer am 3.04.1934 in den Breiten Weg 1 zu Familie Wallheimer zieht, am 1.04.1936 in die Wilhelmstraße 21 zu Familie van Dyk und als die ihr Geschäft verkaufen müssen ziehen die Engländers am 19.07.1938 in die Wallstr. 14 in zu der Familie des Synagogenvorstehers Abraham Wolff.

Siegfried zieht immer wieder für kurze Zeit aus Aurich fort. 1926 nach Füstenau (nahe Osnabrück), 1936 nach Horsten (bei Friedeburg) und Wittmund, sowie Hannover und Quetzen (bei Minden) und schließlich am 16.05.1938 nach Wilhelmshaven.
Vom 11.11. bis 27.12.1938 wird Siegfried wie viele andere Auricher Juden in Sachsenhausen interniert (Aussage seiner Schwester Hilde Wolff geb. Engländer).
Am 21.02. 1940 werden seine Eltern Moritz Engländer und Henni gezwungen, mit den wenigen noch verbliebenen jüdischen Bürgern Aurich zu verlassen (Aurich sollte „judenfrei“ sein!). Sie ziehen nach Berlin in die Rosenstraße 2-4 (Anschrift der „Sozial-Verwaltung der Jüdischen Gemeinde Berlin“).
Soweit die Informationen der Meldekarte.  Aber wie ging das Leben der Familie Engländer weiter?

Nach langem Suchen konnte ich Im Internet auf einem Faksimile der Zeitung „Aufbau“ v. 2. März 1945 eine Todesanzeige für Henny Engländer (+ 15.01.1945) finden.
Die Wochenzeitung „Aufbau“ erschien von 1934 – 1950 in New York und war eine  Art Forum für den Informationsaustausch unter deutschen Juden.  Die Todesanzeige für Henny Engländer ist unterzeichnet  von ihrem Ehemann  Moritz Engländer, wohnhaft in der Dominikanischen Republik, der Tochter Hilde und deren  Ehemann Julius Wolff (in Australien) und dem Sohn Siegfried mit Ehefrau und 2 Kindern, wohnhaft in Sosúa in der Dominikanischen Republik.
Wir wissen nun also, dass Moritz Engländer mit seiner Frau und ihr Sohn in die Dominikanische Republik fliehen und dem Holocaust entgehen konnten.
Aber wie und wann kamen sie dorthin?

Bei der Suche im Internet stoße ich auf die Kopie eine „Zählkarte für auswandernde Personen“. Die Karteikarte ist von der „Kultusvereinigung Berlin“ ausgegeben. Dort steht, dass Moritz und Henny Engländer am 18.09.1941 nach Santo Domingo ausgewandert sind. Das Ehepaar hatte großes Glück, dass sie noch im September 1941 aus Deutschland fliehen konnte, denn schon im Oktober 1941 gab es ein generelles Ausreiseverbot für Juden aus Deutschland und am 15. Oktober 1941 begannen die ersten Deportationen von Juden aus Deutschland.
Wie aber war diese Ausreise möglich?

Die jüdische „Kultusvereinigung“ war vom Reichssicherheitshauptamt eingesetzt worden, um die Auswanderung von Juden  durch Juden selbst organisieren zu lassen. Die Auswanderer mussten Geld in einen Fond einzahlen – bis zu 60% ihres Vermögens -, aus dem wiederum ärmere Auswanderungswillige finanziert wurden. Aber auch jüdische Hilfsorganisationen in den USA finanzierten die Ausreise.
Aber warum Santo Domingo?

Hier gibt es spannende Zusammenhänge. Im Jahr 1938 regte der amerikanische Präsident Roosevelt eine  Konferenz an, um die Situation der jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland zu verbessern. Von den 32 teilnehmenden Ländern war nur die Dominikanische Republik bereit, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen.  Ausgerechnet einer der grausamsten Diktatoren Mittelamerikas, Raffael Trujillo, ein Rassist und Hitlerverehrer, erklärte sich bereit 100.000 jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Diese Bereitschaft war eine Art Wiedergutmachung für die Ermordung von mehr als 25.000 haitischen (dunkelhäutigen) Wanderarbeitern und hatte rassistische Hintergründe, denn mit den jüdischen  Einwanderern sollte die Hautfarbe der Einwohner des Landes „aufgehellt“ werden. Daher sollten nur junge, unverheiratete Männer mit Erfahrungen in der Landwirtschaft für die Einwanderung  zugelassen werden. Schließlich wanderten nur etwa 700 Flüchtlinge in die Dominikanische Republik ein.  Im April 1940 trafen die ersten Flüchtlinge ein. Die Überfahrt wurde von der DORSA (Dominican Republic Setllement Organisation) und  jüdischen Hilfsorganisationen in den USA finanziert.
Und wie gelang es Moritz und Henni Engländer dorthin zu kommen?

Ein bekanntes Schiff für die Überfahrt  jüdischer Auswanderer war das unter portugisischer Flagge fahrende Schiff „Serpa Pinto“.  Und tatsächlich finde ich in den Passagierlisten der „Serpa Ointo“ Moritz und Henni Engländer.

Sie sind am 17. November 1941 mit der „Serpa Pinto“ aus Lissabon abgereist. In der Liste stehen sie als „settler relatives“, also als Verwandte eines Siedlers in der Dominikanischen Republik.
Daraus ist zu schließen, dass ihr Sohn Siegfried Engländer sich zu diesem Zeitpunkt bereits in der Dominikanischen Republik aufhielt. Siegfried war im Mai 1938 von Aurich nach Wilhelmshaven verzogen. Nach der Reichspogromnacht wurde er am 10. November 1938 festgesetzt und anschließend in Sachsenhausen interniert. Im Februar 1940 zog  Siegfried nach Berlin, wohin auch zur gleichen Zeit seine Eltern ziehen mussten. Zu diesem Zeitpunkt war er noch ledig.

Die Serpa Pinto beim Ablegen in Lissabon

Wie und wann Siegfried in die Dominikanische Republik gereist ist, konnte ich bisher nicht herausfinden. Er konnte vermutlich in dem dortigen Siedlungsprogramm der DORSA Aufnahme finden, da er in das Raster „männlich, ledig, mit landwirtschaftlicher Erfahrung“ passte.  Wir wissen nur aus der Todesanzeige für seine Mutter, dass er in dem Siedlerort Sosúa  lebte, dort heiratete und 1945 zwei Kinder  hatte.

Wir wissen, dass das Leben der Siedler in Sosúa in der ersten Zeit extrem hart war. Sie mussten in der Einöde erst einmal ihre Unterkünfte bauen und versuchen, mit landwirtschaftlicher Tätigkeit zu überleben. Nach Kriegsende wanderten viele der Siedler in die USA aus. Heute leben noch etwa 40 Familien in Sosúa, die von den damaligen Einwanderern abstammen.

Leider verliert sich nach 1945 die Spur von Moritz Engländer sowie Siegfried Engländer und seiner Familie.

Recherche und Eingabe: Hans Jürgen Westermayer
(Stand 16.11.2019)
Foto: – SS Serpa Pinto
http://radiofuzzi.blogspot.com/2014/11/lissabon-hafen-der-hoffnung.html
Opfergruppe: Juden
Quellen: – Familiendatenbank Juden im Deutschen Reich
http://www.online-ofb.de/famreport.php?ofb=juden_nw&ID=I6203&nachname=ENGL%C3%A4NDER&modus=&lang=de
– Passagierliste Serpa Pinto ab Lissabon 17.11.1941
http://search.archives.jdc.org/multimedia/Documents/Names%20Databank/Serpa%20Pinto%20November%201941/Additional%20Links/Complete_November_1941.pdf– Zählkarte für ausgewanderte Personen (Moritz Engländer) https://digitalcollections.its-arolsen.org/01020401/name/pageview/709846/7246589
Literatur: Juli Josefine Wellisch Miller de Moncada; Sosúa: Páginas contra el olvido. Colonia judía de extraordinarias historias
Hans-Ulrich Dillmann | Susanne Hei, Fluchtpunkt Karibik. Jüdische Emigranten in der Dominikanischen Republik. Erschienen: September 2009, Seitenzahl: 192, Abbildungen s/w: 73, Karten: 2ISBN: 978-3-86153-551-5
Marion Kaplan, Zuflucht in der Karibik.Die jüdische Flüchtlingssiedlung in der Dominikanischen Republik. 1940-1945 -Wallstein Verlag, Göttingen 2010. ISBN 9783835305113

Gebunden, 283 Seiten, 24,90 EUR

Patenschaft: DIG-Ostfriesland
Verlegetermin: 16. November  2019

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.