Erich Sternberg

Veröffentlicht: 14. Dezember 2010 von westermayer in Verlegung

Erich STERNBERG
geboren am 18. Januar 1901 in Aurich

Straße: Osterstraße 16/18
Todesdatum: 3. Juli 1965
Todesort: Baton Rouge, Louisiana, USA
Eine Gruppe von Jugendlichen der Kirchengemeinde Victorbur hat zur Geschichte der Familie Sternberg recherchiert. Hier ihre Ergebnisse:
Bei unseren Nachforschungen zur Verlegung der Stolpersteine für die Familie Erich Sternberg fiel uns gleich zu Beginn ein ganz einfach aufgemachtes Adressbuch für die Stadt Aurich aus dem Jahre 1926 in die Hände. Es hat 175 Seiten und ist als PDF-Datei auf der Seite der Ostfriesischen Landschaft leicht einsehbar. Dort haben wir ganz zuerst nach der Familie Sternberg gesucht und auch gleich mehrere Mitglieder der Familie gefunden, für die heute Stolpersteine verlegt werden. Ganz selbstverständlich werden sie dort mit der Adresse in der Osterstraße, Beruf und Telefonanschluss für das Geschäft genannt. Nichts Auffälliges ist daran zu finden. Wir haben uns immer wieder die Frage gestellt: wie konnte es geschehen, dass diese ganz normalen Einträge im Adressbuch wenige Jahre später plötzlich verschwunden waren. Da war ein ganz normales Geschäft wie so viele in Aurich damals. Da war eine ganz normale Familie mit Mutter, Vater, Kindern, mit Großeltern, Onkeln und Tanten. Wie konnte so viel Hass und Verachtung unter den anderen Leuten im Auricher Adressbuch entstehen, dass nicht nur diese eine, sondern so viele andere Familien vor dem Hass und der Verachtung der anderen aus dem Adressbuch fliehen mussten oder ermordet wurden? Ein anderes Dokument im Landesarchiv in Aurich aus dem Jahre 1937 haben wir gefunden, in dem es um die „Verwaltung eingezogener Immobilien“ von Max und Erich Sternberg in der Osterstraße 16-18 und in Sandhorst-Coldehörn geht. Ganz bürokratisch genau ausgetüftelte Dokumente. Nur 11 Jahre nach Erscheinen des Adressbuches von 1926 war die Adresse der Familie Sternberg nicht mehr wegen der Menschen interessant, die dort gelebt hatten. Man war augenscheinlich froh, dass sie nicht mehr in Aurich wohnten. Es ging nur noch darum, wer wieviel mit den früheren Häusern der Familie verdienen konnte.Das Schicksal der Familie Sternberg wie das Schicksal so vieler anderer jüdischer Familien war so vielen anderen aus dem Auricher Adressbuch anscheinend gleichgültig. Hatten sie noch fliehen können? Waren sie in ein Konzentrationslager eingeliefert worden?  Waren sie schon umgebracht worden oder wurden sie auf bestialische Weise gequält?

Wir waren in Bezug auf die Familie Sternberg irgendwie geradezu erleichtert, als wir uns wieder ein Adressbuch, dieses Mal das der Stadt Baton Rouge im Bundessaat Louisiana der USA, ansehen konnten. Es stammt aus dem Jahre 1943 und ist im Internet einsehbar. Es hat 433 Seiten und fast alle Namen, die wir im Auricher Adressbuch von 1926 gefunden hatten, konnten wir wiederfinden. Nur ein Name fehlte: der Großvater der Familie, Jacob Meyer Sternberg, früher einmal ein erfolgreicher Auricher Geschäftsmann, musste noch im hohen Alter seine früher einmal geliebte Heimatstadt verlassen und war tausende von Kilometern von Aurich entfernt am 22. Oktober 1941 in Baton Rouge verstorben.

Als wir das Bild seines Grabsteins im Internet fanden, hat es uns besonders angerührt, dass seine Frau Röschen, geborene Stein, die fünfzig Jahre mit ihm verheiratet war, keineswegs neben ihrem Ehemann beerdigt war, so wie das normalerweise der Fall ist. Sie liegt hier in Aurich auf dem jüdischen Friedhof beerdigt. Ihr Mann musste das Grab seiner Frau in Ostfriesland zurücklassen, weil er hier selber den sicheren Tod durch die Verfolgung durch die Nazis gefunden hätte. Zur Erinnerung an seine Heimatstadt ließ er Aurich sogar noch auf seinem Grabstein erwähnen. Sicher haben seine Angehörigen in Amerika mit sehr gemischten Gefühlen auf die Erwähnung der Stadt geblickt, aus deren Adressbuch ihre Namen einfach gestrichen wurden.

Die Familie Sternberg gehört zu den bekanntesten Familien der früheren jüdischen Gemeinde. Es ist schon einige Male über sie berichtet worden und Hans Sternberg hat selber die Geschichte der Familie in Aurich und Amerika aufgezeichnet. Familienmitglieder aus Amerika waren auch bereits in Aurich zu Gast.

Insgesamt geht es heute um acht Stolpersteine für Angehörige der Familie Sternberg und wir haben uns entschieden, sozusagen stellvertretend einige Mitglieder der Familie vorzustellen. Am bekanntesten ist sicherlich Erich Sternberg geworden, der am 18.01.1901 in Aurich als Sohn der Eheleute Jacob Meyer Sternberg und Röschen Stein geboren wurde. Er war der jüngste von neun Geschwistern.

Erich Sternberg erkannte schon früh den Ernst der Lage und die große Gefahr für die jüdischen Familien und entschloss sich in Absprache mit der Familie 1935 dazu, nach Amerika zu gehen und mit erspartem Geld und der Mitgift seiner Ehefrau Lea Knurr die Grundlage für ein eigenes Geschäft in den USA zu legen. Auch seine Ehefrau Lea entstammte einer alten jüdischen Kaufmannsfamilie in Aurich. Erich zog zunächst allein in die USA und transferierte sein Geld auf abenteuerlichen Wegen zu einer niederländischen Bank, die es dann für ihn in die USA weiterschickte. So konnte er anders als manche andren jüdischen Auswanderer auf einer sicheren finanziellen Basis beginnen. Ein anderer Vorteil war, dass Erich wie sehr viele andere Ostfriesen, bereits etliche Verwandte in Amerika hatte, die im 19. Jahrhundert ausgewandert waren und ihm nun den Start erleichtern konnten.  Als ersten Ansprechpartner in Amerika hatte er seinen Onkel Siegfried Sternberg, der bereits im April 1891 nach North Carolina ausgewandert war. Als Neffe Erich im Februar 1936 eintraf, lebte er mit seiner Frau in Philadelphia an der amerikanischen Ostküste. Von hier zog Erich weiter zu seinem Bruder Alfred, der im Bundessaat Mississippi lebte. Er war von den Eltern seinem Onkel Siegfried bei einem Besuch in Aurich „mitgegeben“ worden und darüber wenig begeistert. Auch hier hielt es Erich nicht lange, er hatte große Sehnsucht nach seiner Frau Lea und den drei Kindern in Aurich.  Unbedingt wollte er seine Familie bald nachkommen lassen, dafür aber eine sichere Ausgangsbasis schaffen. Nächste Station in Amerika waren die Kinder seines Onkels Josef Sternberg (1861-1928). Seine Vettern Sam, Mel und Jay lebten in New Orleans. Auch dort gab es bereits wieder zur Fortführung der Familientradition ein Textilgeschäft unter dem Namen „Famous Sternberg Clothing“.

Durch Vermittlung seiner Verwandten in New Orleans gelangte Erich Sternberg nach Baton Rouge im Bundesstaat Louisiana, wo er ein bereits bestehendes Fachgeschäft übernehmen konnte. Mit seiner Frau hatte Erich Sternberg einen Geheimcode ausgemacht, da die jüdischen Familien schon längst nicht mehr ungehindert kommunizieren konnten. Lea Sternberg wusste: wenn ein Telegramm aus Amerika mit dem unverfänglichen Text „Heute erster Kunde im Geschäft. Stopp.“ eintreffen würde, dann war es Ende 1936 Zeit, unverzüglich Deutschland zu verlassen und nach Amerika zu kommen (Seite 56). Es wurde höchste Zeit, da die Repressalien gegen die jüdischen Familien auch in Aurich immer mehr zunahmen.

Erich Sternberg verhalf mit seinem gelungenen Start in Amerika nicht nur seiner Frau und seinen Kindern, sondern noch viel mehr Familienmitgliedern zur Auswanderung und zu einer sicheren Heimat in Baton Rouge, Louisiana. Sogar sein Vater Jacob Meyer Sternberg, der mit seiner Heimatstadt Aurich doch so sehr verwachsen war, entschloss sich schweren Herzens mit 81 Jahren zur Auswanderung nach Amerika. Wenig später wurde Deutschland zu einem einzigen Gefängnis für alle noch verbliebenen jüdischen Familien, das kaum jemand überleben sollte.

Erich Sternberg verstarb am 3.07.1965 in Baton Rouge, Louisiana, USA im Alter von 64 Jahren.

Recherche: Jugendliche der Kirchengemeinde Victorbur
Ergänzungen und Eingabe: Hans Jürgen Westermayer
(Stand 5.10.2021)
Foto:
Opfergruppe: Juden
Quellen: Niedersächsisches Landesarchiv Aurich Rep. 91, Nr. 263 OL C 1
www.ostfriesischelandschaft.de/fileadmin/user_upload/BIBLIOTHEK/Dokumente Adressbuch_Aurich_1926.pdf
Polk`s Greater Baton Rouge City Directory 1943, R.L. Polk & Co Publishers, 202 Thomas Bldg, Dallas 1, Texas. Copyright 1943.
Literatur: Hans J. Sternberg: Von Ostfriesland nach Louisiana. Flucht einer jüdischen Familie, Auszug des Buches „We were merchants“, hrsg. v. Rainer Wehlen und der DIG, Aurich 2012.
Patenschaft: Jugendliche der Kirchengemeinde Victorbur
Verlegetermin: 5. Oktober 2021

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